Trends & TippsFachkräftemangel: Wie sieht die Zukunft besser aus?   

Fachkräftemangel: Wie sieht die Zukunft besser aus?   

Wer nach „bait and switch” auf dem Arbeitsmarkt googelt, der kommt aus dem Staunen kaum raus: Bait and Switch beschreibt den Trend, Mitarbeiter mit einer spannenden Stellenanzeige zu locken, sie diese besetzen zu lassen und sie dann – meist nach Ende der Probezeit – auf einen schlechte Stelle zu switchen, sprich umzusetzen. 

Nun könnte man gehässig sagen: Die Versicherungsbranche kennt das Phänomen nicht, weil sie gar keine Stellen hat, auf die man Menschen locken könnte. Und es gibt gar nicht genug Bewerber, um ein Stellenkarussell à la Bait and Switch im Versicherungswesen durchzuziehen. Ok, das ist gemein, aber Fakt ist: Der Branche fehlt Personal. Es fehlen Fachkräfte. 

Sind die Unternehmen Schuld? 

Mehr noch: Die Versicherungsbranche gilt als die Mutter aller Fachkräftemangel. Vor allem junge Menschen zieht es nicht zum Thema Versicherungen. Wer will heute noch in einer Versicherung eine Ausbildung machen? Selbst duale Studiengänge ziehen nicht. Und das geht weit über das klassische Arbeitsumfeld. In allen Hierarchiestufen suchen Unternehmen Mitarbeiter und sie suchen vergeblich. Nun könnte man behaupten, dass in einer Branche, in der viele Unternehmen Faxe immer noch als das sicherste Kommunikationsmittel sehen, junge Menschen sich einfach nicht wiederfinden. 

Gestern lebt!

Und die Älteren, die schon einmal ein Fax in der Hand hielten, hadern trotzdem mit der Branche, weil sie als verkrustet gilt, als konservativ, als bewegungsarm und es in weiten Teilen auch noch ist. Aber es haben auch viele Unternehmen freie Stellen, die schon weiter sind. Unternehmen, die Digitalisierung leben, die Mitarbeitern Freiräume geben, die im Heute angekommen sind. 

Woran liegt es also? 

„Arbeit gibt es genug”, sagt zum Beispiel Hans Steup, der mit seinem Portal Versicherungskarrieren Recruiter für die Branche ist. Recht hat er. Es findet sich nur keiner, der sie machen will. Gründe dafür scheint es viele zu geben: Der Ruf der Branche ist – nett formuliert – natürlich nicht gerade ideal, gerade Vermittlerbetriebe vermarkten sich als Arbeitgeber häufig schlecht und wecken kein Interesse bei potenziellen Bewerbern. Und auch das Beraterbild hat sich natürlich nachhaltig verändert: Die digitale Beratung steht im Fokus, die Online-Meetings, die sozialen Medien als Kundenkanal, der Abschluss auf digitalen Antragsstrecken – und das Gespräch vor Ort gerät immer mehr ins Hintertreffen. Auch das ist nicht für jeden (potenziellen) Vermittler der Weg, den er gerne gehen möchte. 

Es gibt sie, die Erfolgsgeschichten 

Zu Recht weist Experte Steup aber im Interview auch darauf hin, dass es durchaus Unternehmen gibt, die Personal finden, die also offensichtlich etwas richtig machen. Unternehmen, die auf Zukunftsthemen setzen und sie auch anpacken. Unternehmen, die nicht nur auf die sozialen Medien als Kundenkanal setzen, sondern die auch Stellen dafür schaffen, um dieses Thema langfristig erfolgreich zu beackern. Und die Mitarbeiter einstellen, die dort – beruflich – zu Hause sind. Unternehmen, die Trends erkennen und zum Beispiel verstärkt auf die Generationenberatung setzen – und Kolleginnen und Kollegen suchen, die sich damit identifizieren. Oder spezialisierte Vermittler mit einer Zielgruppe, in der Bewerber sich wohlfühlen und im Thema so zu Hause sind, dass sie sich wirklich nichts anderes vorstellen können, als genau das zu ihrem Beruf zu machen.

Mitarbeitersuche kann also eine Erfolgsgeschichte sein.

Ein Blick auf Stellenanzeigen könnte helfen 

Neben diesen Erfolgsgeschichten gibt es aber eben viele weniger erfolgreiche Stellenangebote. Die sagen viel über das Unternehmen aus – aber wahrscheinlich nicht das, was die Unternehmen gerne aussagen möchten. Noch immer finden sich in Stellenanzeigen Allgemeinplätzen und Formulierungen, die laut zu schreien scheinen: AUF GAR KEINEN FALL BEWERBEN! Und natürlich werden solche Stellenanzeigen zum Rohrkrepierer, weil die Stellen einfach unattraktiv sind. 

Von Flexibilität, Belastbarkeit und Teamfähigkeit 

Die Branche sucht gerne mal Mitarbeiter im Innendienst, die flexibel, belastbar und teamfähig sind. Flexibilität? Ernsthaft? Flexibilität ist heute für Fachkräfte eine nicht verhandelbare Grundvoraussetzung auf beiden Seiten, die gar nicht erwähnt werden müsste. Es sei denn, Unternehmen planen so schlecht, dass die Angestellten das maximal flexibel ausbaden müssen, wenn wieder einmal ein Sparprojekt für Mehrarbeit sorgt, die nur mit extrem biegbaren (=flexiblen) Mitarbeitern zu schaffen ist. So vergrault man Fachkräfte und macht eine ganze Branche uninteressant. 

Junge Menschen in die Branche hineinführen 

In der Branche fehlen vor allem junge Menschen, die Fachkräfte von morgen. Junge Menschen, die am Anfang ihres Erwerbslebens stehen. Sie stehen vor der Entscheidung, was sie – vielleicht für den Rest ihres Lebens – beruflich machen sollen und wollen. Und die Versicherungsbranche konkurriert mit Boombranchen und innovativen Berufsbildern in der IT-Infrastruktur, im Geschäft mit Big Data, im Fitnessbereich, im Geschäft mit der Ernährung der Zukunft und in vielen, vielen weiteren Bereichen. Und wir in der Versicherungsbranche suchen flexible, belastbare und teamfähige Sachbearbeiter? Warum suchen wir keine Menschen, die die Versicherungswirtschaft zu einer spannenden Boom-Branche machen? Warum besetzen wir die Boom-Themen nicht in der Versicherungsbranche? Wir könnten das Thema Gesundheit in allen Facetten zu einem Versichererthema machen. Oder Sport. Oder Ernährung. Oder Big Data. Oder Nachhaltigkeit. 

Das Fachkräfte-Dilemma

Die Erkenntnis ist so wahr wie für die Versicherungsbranche bitter: Nie zuvor hatte Deutschland so viele gut ausgebildete junge Menschen, Fachkräfte, die arbeiten möchten. Die Branche hat nur keine Verwendung für sie. Weil Versicherungsvermittlung immer noch wie in den 80-er Jahren ist. Nur ein bisschen digitaler. Dafür aber mit viel Regulierung und einem miserablen Ruf. Was wir brauchen, ist eine Branche, die neue und bestehende Boom-Themen besetzt und für sich reklamiert. Und damit auch die Menschen, die für diese Themen brennen und sie zum Beruf machen möchten. Wenn wir das schaffen, sieht die Zukunft der Versicherungsbranche ganz anders aus als die Gegenwart – und sie sieht rosig aus. 

Titelbild: © Rawpixel.com/stock.adobe.com

Oliver Mest
Oliver Mest
Hat Rechtswissenschaften studiert und abgeschlossen, heute schreibender Versicherungsmakler in der NewFinance Redaktion. Wenn er nicht gerade Fachartikel verfasst oder Versicherungen vermittelt, findet man ihn beim Wandern in den Alpen (zur Not auch in Südfrankreich oder an der Nordsee vor der Tür).

Das könnte Sie auch interessieren:

Weitere Beiträge