Der 14. Juli 2021 wird vielen Menschen lange als der Tag in Erinnerung bleiben, der alles verändert hat. Für Versicherungsmaklerin Kim Hahn war es der Morgen, an dem sie in einer völlig zerstörten Stadt erwachte. Bad Münstereifel in Nordrhein-Westfalen gehört zu den Regionen, die die Flutkatastrophe besonders hart getroffen hat. Im Spannungsfeld zwischen eigener Betroffenheit und dem Wunsch, als Maklerin den Menschen zu helfen, kämpfte sich Hahn in den vergangenen zwei Monaten in ihren Arbeitsalltag zurück.
Die Eifel ist stark betroffen von der Flutkatastrophe
„Mein Betrieb ist in Bad Münstereifel”, beginnt Kim Hahn zu erzählen. „Dort lebt meine ganze Familie und die Erft läuft einmal durch alle Dörfer.” Die Erft, ein Fluss, dessen Namen zuvor nur Einheimischen bekannt war, verbinden Menschen seit der Flutkatastrophe auch weit über die Landkreisgrenzen hinaus mit Zerstörung. Als Nebenarm des Rheins fließt er durch die Landkreise Euskirchen, Rhein-Kreis Neuss und Rhein-Erft-Kreis. Allesamt Regionen, die auch Monate später noch stark gezeichnet sind von den Folgen der Überschwemmung.
Dazu gehört auch der Heimatort von Kim Hahn. Am Morgen der Flut habe sie keinen Handyempfang gehabt und sei etwas beunruhigt ins Stadtzentrum gefahren. „Ich bin nicht weit gekommen, weil die Bundeswehr schon alles abgeriegelt hatte. Ich habe nur eine zerstörte Stadt gesehen, die ich nicht wiedererkannt habe. Eingestürzte Häuser, Autos, die auf dem Rücken lagen, Menschen, die weinend auf den Straßen saßen.” Ihre ersten Gedanken galten ihrer Familie und Freunden. Zu dem Zeitpunkt machte die Nachricht von Todesfällen die Runde.
Erste Gedanken: Wie den Menschen helfen?
Sobald sie ihre Familie erreicht hatte und sicher sein konnte, dass es ihnen gut geht, erinnert sich Hahn, sei sie sofort ins Büro gefahren. Als Maklerin fühlte sie sich doppelt getroffen: Einerseits war auch ihr Betrieb ohne Internet mehr oder weniger lahmgelegt, andererseits ging es ihr gut und sie wollte als Versicherungsmaklerin ihren Kunden so schnell und so gut wie möglich zur Seite stehen. „Was ist jetzt sinnvoll?”, fragte sie sich und entschied, nach dem ersten Schock zu handeln. Den Kopf in den Sand zu stecken, sei keine Option gewesen, betont sie. „Ich pack’s jetzt an. Meine Mitarbeiter waren alle abgesoffen und ich war auf mich alleine gestellt.”
Ohne aktive Infrastruktur suchte sie nach Alternativen, ihren Betrieb aufrecht zu halten. Dabei stieß sie auf Probleme, die die fortschreitende Digitalisierung sozusagen verursacht hatte: Ein Großteil ihrer Daten sei bereits nur noch online abrufbar, weshalb sie ohne Internet wieder zu Papier und Stift greifen musste.
„Ich bin dann wirklich mit Gummistiefeln und Stift und Zettel oldschoolmäßig durch die Dörfer zu den Leuten gegangen, von denen ich wusste, dass sie bei uns versichert sind.”
Vermittlerin: „Ich wollte für die Menschen da sein”
Die Häuser zum Teil in Schutt und Asche gelegen, sprach sie mit Betroffenen, welche Hilfe sie benötigen. Als Maklerin fühlte sie sich in der Pflicht, „irgendwas zu tun und das Versprechen gegenüber meinen Kunden auch einzulösen”. Die positive Einstellung der Menschen, die angesichts menschlicher Tragödien und völlig zerstörten Häusern trotzdem den Mut nicht verloren hatten, habe sie nachhaltig beeindruckt, sagt sie. Aber auch die Maklerin selbst erhielt von ihren Kollegen und ihren Mitarbeitern Rückhalt. „Ohne meine tollen Verbindungen in meinem Charta-Verbund wäre ich noch viel weiter in der Steinzeit gewesen. Sie haben mir Büros und Arbeitskräfte angeboten, damit ich hier meinen Job ausführen kann.” Die emotionale Unterstützung, die sie erfahren hat, habe ihr oft die Tränen in die Augen getrieben, schildert sie noch sichtbar berührt.
Es sind harte Zeit, die die Betroffenen hinter sich haben. Das gilt auch für die Maklerin. Vier Wochen lang hatte ihr Arbeitsalltag rund 16 Stunden.
„Wenn ich nicht mehr arbeiten konnte, weil mein Kopf es nicht mehr zuließ, habe ich mir die Schippe genommen und Schlamm geschippt. Das war eine wahnsinnige Herausforderung.”
Erst nach und nach konnte sie überhaupt wieder arbeiten, als sie einen Outlookzugang hatte. Der Empfang aber war weiterhin sehr eingeschränkt und nur vereinzelt über das Handy möglich. Das Auto wurde für sie vorübergehend zum Büro.
Flutkatastrophe: Auch Versicherer waren überfordert
Die Flutkatastrophe kam nicht nur für die Anwohner völlig unerwartet, sondern überforderte auch die Versicherer. Kim Hahn fasst ihre Erfahrungen so zusammen: „Ich habe gemerkt, wie das Netzwerk Versicherer ein Stück weit zusammengebrochen ist. Weil sie selbst auch maßlos überfordert waren und gar nicht wussten, was sie machen sollten.” Normale Schadensabläufe waren nicht möglich: Wie eine E-Mail versenden, wenn der Strom ausfällt? Wie einen Schaden melden, wenn das Handy keinen Empfang hat? Wie das zerstörte Auto fotografieren, wenn die Flut es weggeschwemmt hat? Wie einen Schaden im Haus dokumentieren, wenn der Inhalt längst auf der Entsorgungsanlage liegt? Der Kreis Euskirchen konnte nur über ein Notstromaggregat versorgt werden. Wer keines besaß, war abgeschnitten.
Es zeigte sich: Die Realität der Versicherungen ließ sich auf die Umstände der Katastrophe schlichtweg nicht anwenden. Kim Hahn versuchte, in solchen Fällen zu vermitteln und den Betroffenen so gut wie möglich die Kommunikation zu erleichtern. Geholfen hätten der Maklerin dabei die persönlichen Kontakte in die jeweiligen Versicherungsgesellschaften, sagt sie und findet trotz holprigen Starts lobende Worte für die Branche. Viele Gesellschaften hätten zwar etwas Vorlaufzeit gebraucht, dann aber sehr gut reagiert, resümiert sie.
Gebäude- und Kfz-Schäden kommen gehäuft vor
Hahn half dabei, die Schäden den Ansprechpartnern verständlich zu erklären und auch in besonders schlimmen Fällen eine Lösung zu finden. Viele Betroffene waren nämlich nicht ausreichend versichert. So wie in anderen Regionen auch galt Bad Münstereifel zuvor nicht als Risikogebiet. Anwohner wie auch Versicherer legten daher geringere Maßstäbe an ihre Absicherung, als in der Katastrophe notwendig gewesen wäre. 100 Großschäden, 140 Pkw-Totalschäden und mehr als 100 Hausratschäden schlugen am Ende zu Buche. Als Sachversicherungsmaklerin war Hahn daher “voll ins Herz getroffen”. Ihre Kunden hätten zu 70 Prozent eine Elementarschadenversicherung und Teilkasko für ihre Fahrzeuge besessen.
Auf die Gesamtregion gerechnet lag die Zahl ihrer Einschätzung nach aber deutlich tiefer bei rund 30 Prozent. Die Menschen, von Corona kräftig gebeutelt, hätten schlicht kein Geld mehr für Versicherung übrig gehabt, erklärt Hahn die ohnehin schon prekäre finanzielle Situation vieler Anwohner. Umso erleichterter nahm sie das Entgegenkommen der Versicherer wahr, die sich darauf geeinigt hätten, mehrheitlich zugunsten der Betroffenen nach Gutachten abzurechnen. Rund 50.000 Euro seien auf diese Weise schon ausgezahlt worden, sagt sie.
Flutkatastrophe: Auch nach Monaten noch keine Heizung
Rund zwei Monate nach der Flutkatastrophe zeigt sich die Widerstandsfähigkeit der Anwohner, die beharrlich ihre Heimatdörfer wieder aufbauen. Sorgen bereitet Kim Hahn allerdings der anstehende Winter: Wie die Kälte überstehen ohne funktionierende Heizung? Auch ihr Büro muss aktuell noch ohne Wärme auskommen. Für die Maklerin ist deshalb wichtig, die Schicksale der Menschen nicht aus den Augen zu verlieren. Sie appelliert auch an ihre Kollegen, aus solchen Ausnahmesituationen Lehren zu ziehen. „Die besten Erfahrungen habe ich mit den Versicherern gemacht, mit denen ich auch persönlich Geschäftsbeziehungen pflege.” Ein direkter Ansprechpartner sei dabei Gold wert.
Der persönliche Kontakt zu Versicherungen hat geholfen
Es habe ihr – als einzige Maklerin in der Region – auch verdeutlicht, welche Schlüsselstelle sie in der Situation einnimmt. „Auch wenn viele sagen, einen Maklerbetreuer brauchen sie nicht. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es sehr gut ist, dass wir unser Geschäft schon auf einzelnen Positionen gebündelt hatten und dort die Teams im Rücken kennen und ‘ein Wort ein Wort war’.” Kollegen rät sie deshalb, sich möglichst breit aufzustellen und auch menschlich den Kunden verstehen zu wollen. Ihr habe es sehr geholfen, die Menschen vor Ort besucht zu haben, um die Geschichten dahinter zu verstehen. Angesichts der hohen Verluste, die Menschen erlitten haben, sei es wichtig, dass Vermittler für sie als Ansprechpartner da sind und Verlässlichkeit ausstrahlen. „Man muss da Mensch sein.”